Kultur am Nachmittag - Musikgenuss bei Werken von Schostakowitsch und Brahms

Streichquartette sind die am weitesten verbreitete Gattung der Kammermusik. Entstanden sind sie ab etwa Mitte des 18 Jh., mit einem Höhepunkt zur Zeit der Wiener Klassik. Die Besetzung besteht stets aus zwei Violinen, Bratsche und Violoncello. Das Streichsextett, gegenüber dem Quartett mit Verdoppelung von Bratsche und Cello, nimmt in der Kammermusikpraxis dagegen nur einen Nischenplatz ein. Das sehr schmale von den Komponisten geschaffene Repertoire wird trotz seiner interessanten, klanglichen Fülle durch die weitgehende Gleichberechtigung der Stimmen nur selten dem Publikum zu Gehör gebracht. Die Stuttgarter Philharmoniker haben im Rahmen ihrer Nachmittagskonzertreihe das Streichquartett Nr. 2 A-Dur Op. 68 von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) sowie von Johannes Brahms (1833-1897) das Streichsextett Nr. 2 G-Dur Op. 36 im Gustav-Siegle-Haus dem Publikum zu Gehör gebracht. Die Violinistin Marianne Sohler erläuterte vor Konzertbeginn die Werke aus musikalischer Sicht, ihrer Bedeutung im Spektrum der Kammermusik sowie deren historische Einordnung. Die ausführenden Künstlerinnen und Künstler waren Marianne Sohler, Isabelle Farr – Violine, Akiko Hirataka, Martin Höfler – Viola, Semiramis von Bülow-Costa, Martin Dörfler – Violoncello. Musikinteressierte Kunstfreunde der SportKultur Stuttgart haben zugehört und berichten von ihren Eindrücken.
Schostakowitschs Streichquartett entstand im Kriegsjahr 1944 innerhalb von nur 19 Tagen im „Haus der Komponisten“ in Iwanowo, 300 km nordöstlich von Moskau, fernab des Kriegsgeschehens. Das 35-minütige Werk wurde vom renommierten, russischen „Beethoven-Quartett“ uraufgeführt. Gewidmet hat Schostakowitsch das Quartett seinem Komponistenkollegen und Freund, dem damaligen Direktor des Moskauer Konservatoriums, Vissarion Shebalin. Das ganze Stück ist angesichts des Kriegsleids emotional durchzogen von Trauer, Wut, Verzweiflung und Resignation. In nur wenigen Passagen bleibt Raum für etwas Trost und Hoffnung. Mit einem sehr markanten Thema beginnt der erste Satz, wirkt teilweise spröde, dann wieder eindringlicher, fast schon aggressiv. Beeindruckt hat vor allem der zweite Satz. Passend zu Entstehungszeit ist viel russische Seele, schwermütige Seele, regelrecht zu fühlen. Oft klagend, dann melancholisch, Ausbrüche von Verzweiflung waren durch die treffend gesetzten Bogenstriche zu vernehmen. Der dritte Satz lässt einen verzerrten Walzer erkennen, der aber größtenteils jegliche Fröhlichkeit des Genres bewusst vermissen lässt. Mit einem Variationssatz, der durch etliche spannende Stimmungs- und Temposchwankungen charakterisiert ist, endet das Quartett mit kräftigen Tönen.
Johannes Brahms gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Seine Kompositionen der Entstehungszeit gemäß in die Hochromantik einzuordnen, wäre durch seine Einbeziehung barocker und klassischer Motive in seine komplexen Werke, eine zu einseitige Klassifizierung. Das vorgetragene Sextett komponierte er 1864/65 in Lichtental nahe Baden-Baden. In diesem Ort pflegte der Meister einige Jahre lang seine Sommerferien zu verbringen. In Boston und Zürich fanden die ersten öffentlichen Aufführungen im Herbst 1866 statt. Ein geschäftlicher Erfolg damit ließ geraume Zeit auf sich warten, zwei Verlage lehnten es zunächst ab, das Werk zu drucken. Das Sextett ist ein echter Brahms-Klassiker, der im ersten Satz die tiefen Bratschentöne sich regelrecht mit den hellen Tönen der Violinen wie zu einem Band voller freudiger, geistvoller Gedanken verschlingen lässt. Das rasche, fast ausgelassene Scherzo mit gemächlichen Außen- und raschem Binnenteil des zweiten Satzes, ist unterstrichen von eben diesem lebendigen Charakterwechsel. Das anschließende Adagio lässt ein eigentümlich schwebendes, dennoch rhythmisch wirkendes Thema erleben. Das Finale des Sextetts bildet ein vielfältiges, originelles, fast tänzerisches Stück, das furios in einem bravourösen Strudel zu Ende geht.
Das Publikum hat den Vortragenden heftig applaudiert. Es freut sich auf weitere Konzerte der Reihe „Kultur am Nachmittag“.
Text und Foto: Norbert Klotz