Elfriede Lohse-Wächtler – Ich als Irrwisch in Heilbronn
Kunst und Leben zwischen Selbstbehauptung und Stillstand
Wer die letzten vier Monate die Heilbronner Kunsthalle Vogelmann betrat, begegnete einer Künstlerin, die lange übersehen wurde – und deren Werk heute aktueller wirkt denn je. „Elfriede Lohse-Wächtler – Ich als Irrwisch“- Selbstbezeichnung der Malerin als Ausdruck ihrer künstlerischen Haltung - zeigt rund hundert Arbeiten einer Frau, deren Leben zwischen künstlerischem Aufbruch und gesellschaftlichem Ausschluss verlief. Elfriede Lohse-Wächtler (1899–1940) war eine Malerin der Neuen Sachlichkeit, eine präzise Beobachterin sozialer Wirklichkeiten – und eine der vielen, die vom NS-Regime zum Schweigen gebracht wurden. Nach gescheiterter Ehe, Jahren in Armut und psychischer Krankheit wurde sie 1940 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet. Die eben zu Ende gegangene Heilbronner Ausstellung hat dieses Leben nicht nur nacherzählt, sondern das Werk in seiner künstlerischen Kraft gezeigt – als Ausdruck einer kompromisslosen, sensiblen und eigenständigen Stimme.
Die Ausstellung führt durch alle Schaffensphasen der Künstlerin: Modezeichnungen, Plakatentwürfe, frühe Porträts entstanden in der Heimatstadt Dresden, Arbeiten aus der Hamburger Zeit, expressive Selbstbildnisse und Zeichnungen aus der Psychiatrie. Was sich wie ein Lebenslauf liest, wirkt im Raum erstaunlich gegenwärtig. Die ausdrucksstarken Portraits von Arbeiterinnen und Arbeitern, von Randfiguren der Gesellschaft und Kranken beeindrucken. Lohse-Wächtler schaut ihre Modelle an, ohne sie zu idealisieren – und ohne sie zu verraten. Es ist Kunst mit Haltung, leise, aber bestimmt. Besonders eindrucksvoll sind die Arbeiten aus den Jahren, die Lohse-Wächtler in psychiatrischen Einrichtungen verbrachte. Trotz der trostlosen Umstände entstehen dort Zeichnungen voller Leben. Linien, die zittern und gleichzeitig Halt suchen. Gesichter, die zwischen Innen- und Außenwelt gefangen scheinen. Hier zeigt sich die ganze Tragweite ihrer Kunst: Sie malt nicht, obwohl sie leidet, sondern durch das Leiden hindurch. Kunst als letzte Form von Freiheit.
Die Kunsthalle Vogelmann inszeniert diese Wiederentdeckung mit viel Sensibilität. Weiches Licht, klare Hängung, informative, aber nie belehrende Texte. Kuratorin Rita E. Täuber gelang der Balanceakt, Biografie und Kunst in Beziehung zu setzen, ohne das eine vom anderen erdrücken zu lassen. Durch die Ausstellung führte Kunstvermittlerin Roswitha Lindemann am 30.10.2025 kenntnisreich eine Gruppe Kunstinteressierte der SportKultur Stuttgart. Die eindrucksvollen Bilder die die Gemütslage der Künstlerin regelrecht sehen und fühlen ließen sowie ihre leidvolle Biografie, hinterließen bei den Besucherinnen und Besuchern neben Nachdenklichkeit eine diffuse Art der Beklemmung. Das Fazit der Kunstausfahrt zu „Ich als Irrwisch“, ist die Wahrnehmung einer stillen, eindringlichen Ausstellung über eine Künstlerin, deren Stimme zu lange verstummt war. Sie erzählt von Verletzlichkeit und Widerstand, von Kunst als Selbstbehauptung in einer feindlichen Welt.
Text und Foto: Norbert Klotz